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Deutschland wird zur Kiffer-Republik

Chefreporter WELT AM SONNTAG
Wer hätte das gedacht? Der Gartenzwerg, das Symbol der deutschen Spießigkeit, hat doch tatsächlich einen Joint in der Hand Wer hätte das gedacht? Der Gartenzwerg, das Symbol der deutschen Spießigkeit, hat doch tatsächlich einen Joint in der Hand
Wer hätte das gedacht? Der Gartenzwerg, das Symbol der deutschen Spießigkeit, hat doch tatsächlich einen Joint in der Hand
Quelle: André Laame
Zwischen zwei und vier Millionen Deutsche konsumieren regelmäßig Cannabis. Mit einer Petition wollen Befürworter die Legalisierung der Droge erreichen. Derweil boomen heimliche Plantagen.

Drei Stufen sind es nur, die die Oberwelt von der Unterwelt trennen. Wer hinabsteigt, betritt einen Souterrain-Raum, in dem orange gefärbte Stalaktiten aus Bauschaum von der niedrigen Decke hängen.

Regale voller Wasserpfeifen, den Shishas, Bongs und Fachliteratur zur Pflanzenaufzucht sind in Schwarzlicht getaucht, und hinter dem gläsernen Tresen steht Martin Slemties und bemüht sich um Normalität: „Wir verkaufen völlig legale Ware hier, bilden Lehrlinge aus und sind von der Handelskammer zertifiziert.“ Er zeigt auf die kleinen Aufkleber der IHK von 2010 bis 2013, die am Tresen kleben. Und dabei muss er doch schmunzeln, der 41-jährige Mann mit dem schwarzen Sweatshirt und dem Bart. „Klar, die von der Kammer finden uns schon schräg.“

Denn so ganz normal ist der Headshop, der ausgerechnet am Grasweg im Hamburger Stadtteil Winterhude liegt, eben doch nicht. „Steuerfahndung, Zoll und der bürgernahe Beamte beim örtlichen Polizeirevier schauen regelmäßig vorbei“, sagt Slemties. Und gerade jetzt muss er einen aufdringlichen Gebühreneintreiber von der GEZ am Telefon abwimmeln, obwohl „wir natürlich alle Gebühren bezahlen“. Drogen hat bis jetzt noch keiner gefunden, nicht ein Krümelchen Marihuana oder Haschisch.

Konsum von Heroin nimmt ab

Längst sind es nicht nur Jugendliche oder junge Erwachsene, die die getrockneten Blütenblätter der Cannabispflanze in Zigarettenblättchen bröseln und den Dampf des Krauts inhalieren, um sich von der Wirkung des Tetrahydrocannabinols (THC), das etwa zehn Prozent der Inhaltsstoffe ausmacht, berauschen zu lassen. Bei Slemties schlurfen an diesem Nachmittag nacheinander zwei Handwerker, zwei Mittfünfziger und ein verschüchterter etwa 16-jähriger Junge durch die niedrige Tür in die Shisha-Höhle herein, um sich einzudecken. Und der Junge, sagt der Headshop-Besitzer später, sei „von seinen Eltern geschickt worden, die wollen nämlich zusammen was anbauen“. Zwischen zwei und vier Millionen Deutsche sollen regelmäßig Cannabisprodukte konsumieren, genau weiß das niemand. Manche rauchen ein paar Mal im Jahr einen Joint, andere kiffen jeden Tag.

Der Konsum von illegalen Drogen hat zwar insgesamt stark abgenommen, bei der einstigen Schreckensdroge Heroin stellte das Bundeskriminalamt 2012 einen Rückgang um 25 Prozent fest. Die weitaus meisten Delikte, nämlich 134.739, betrafen den Umgang mit Cannabis. Und da setzt ein wahrer Boom ein. Das staatliche Cannabis-Verbot hat bei vielen nur noch den Charakter einer behördlichen Empfehlung.

Doch das reicht der Hanf-Lobby noch nicht. Liberale Strafrechtsprofessoren fordern, dass sich der Bundestag erneut mit dem Drogenverbot auseinandersetzt und haben eine entsprechende Petition unterzeichnet. „Uns geht es nicht um die Verharmlosung von Drogen, sondern um die Kriminalisierung der Konsumenten. Die Strafverfolgung ist das Problem“, sagt Lorenz Böllinger von der Universität Bremen. Die Juristen fordern, dass der Bundestag eine Enquete-Kommission einsetzen soll, die die Wirkungen der Betäubungsmittelgesetze analysieren soll. „Jedes Jahr werden Milliardenbeträge für die Strafverfolgung aufgewendet, welche sinnvoller für Prävention und Gesundheitsfürsorge eingesetzt werden könnten“, heißt es in der Petition.

Auch Prominente kämpfen für „Recht auf Rausch“

Unter den 105 Befürwortern befinden sich durchaus prominente Namen wie Claus Roxin, der als Experte für die Strafprozessordnung gilt. Auch der Anwalt und Strafrechtsprofessor Bernd Müssig will ein liberaleres Drogenrecht – er vertrat schon Max Strauß und verteidigt gerade den Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff, der sich vor dem Landgericht Hannover verantworten muss. Sobald die neue Regierung im Amt ist, will Böllinger die Petition einreichen. „Immerhin sind es fast 40 Prozent aller Strafrechtler in Deutschland, die bei uns mitmachen“, sagt der Jurist.

Kaum jemand würde sich mehr über einen Erfolg der Professoren freuen als Georg Wurth. Der 41-Jährige sitzt in einem Café im Prenzlauer Berg und macht Lobby-Arbeit bei einem Cappuccino. „Hanf ist nicht ungefährlich, aber ungefährlicher als Alkohol“, sagt er.

Wurth, gebürtiger Remscheider und früher bei den Grünen aktiv, ist Geschäftsführer des Deutschen Hanfverbands DHV und spult die Argumente herunter, die Cannabis-Konsumenten seit Jahren bringen: Repression bringt nichts, sie hat noch nie Konsum verhindert, nur die Bedingungen verschlechtert. Gekifft wird sowieso. An Alkohol und Tabak sterben jedes Jahr 200.000 Menschen, hat die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen ermittelt. An Cannabis ist noch niemand gestorben. Warum also diese Hatz?

„Kriminalisierung von Millionen Menschen“

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Genussvoll verweist Wurth auf die USA, in dem Land, in dem Ronald Reagan einst den „War on drugs“ verkündete – und das jetzt Cannabis im großen Stil legalisiert. Mehrere Bundesstaaten sind dabei, ein Coffee-Shop-Modell zu etablieren. In den Staaten Colorado und Washington geht es am 1. Januar los, dann kann jeder Einwohner, der mindestens 21 Jahre alt ist, pro Tag eine Unze legal produziertes Gras kaufen. Das entspricht etwa 28 Gramm. In 23 weiteren Staaten ist Cannabis zu medizinischen Zwecken legalisiert worden. Durchgesetzt haben das die Bürger der US-Staaten, die sich in Volksabstimmungen für die Entkriminalisierung und den streng regulierten Verkauf aussprachen. Für eine Legalisierung spricht sich unter anderem die Börsenlegende George Soros aus, der die Kampagne finanziell unterstützte. „Wir sollten lieber in effiziente Bildung investieren als in ineffektive Gefängnisaufenthalte“, sagte der Spekulant.

Eine „massive Einschränkung von Menschenrechten“ sieht DHV-Geschäftsführer Wurth im Cannabis-Verbot, das eine „Kriminalisierung von Millionen Menschen“ nach sich zöge. „Die meisten Cannabis-Konsumenten sind völlig unauffällig“, so Wurth.

Nicht nur Cannabis-Pflanzen sind verboten, auch ihre Samen dürfen hierzulande seit 1998 nicht mehr verkauft werden. Deutschlandweit stellen die Staatsanwaltschaften jedoch ein entsprechendes Strafverfahren ein, wenn es nur um geringe Mengen von bis zu sechs Gramm Gras oder Haschisch geht. In Berlin und NRW dürfen es sogar bis zu zehn Gramm sein.

Beim Cannabis geht der Trend zum Selbstversorger

Viele Hanf-Freunde scheuen den Gang auf den Schwarzmarkt, wo das Entdeckungsrisiko groß ist und der Stoff gestreckt wird. Sie bauen ihr Kraut zum Eigenbedarf selbst an; in Wohnungen, Gärten oder auf Feldern. Der Renner in den Headshops Deutschlands sind „Growboxen“, abgeschlossene Plastikzelte, in denen die verbotenen Pflanzen unter gleißendem 400-Watt-Lampen und ausgeklügelten Bewässerungssystemen gedeihen, bis ihre Blüten reif zur Ernte sind. „Die Boxen laufen super“, sagt Händler Slemties. Seine Konkurrenten verkaufen komplette Sets zur Aufzucht in Online-Shops, zum Teil mit gesetzeskonformen Verwendungshinweisen. So bieten die Betreiber der Seite www.growmart.de ihre Zelte, kleiner Scherz, mit dem Zusatz „z.B. für Tomaten“ an. Ab 400 Euro kann jeder zum Hanfbauern werden, versichern die Händler.

Auch die Polizei beobachtet das heimische Drogen-Gärtnern. Beschlagnahmten die Beamten etwa in Hamburg in den Jahren 2007 bis 2010 nur bis zu 19 kleinere und größere Plantagen von 100 Pflanzen aufwärts, waren es 2012 bereits 44 Hanf-Gärtnereien, die in Hallen, auf Dachböden und in Wohnungen angelegt wurden. Und die dürften nur einen Bruchteil der tatsächlichen Ernteflächen ausmachen, denn üblicherweise kommen die Ermittler den „Growern“ nur auf die Schliche, wenn etwa die mitunter komplizierten Bewässerungssysteme ausfallen und es bei den Nachbarn von der Decke tropft. „Der sprunghafte Anstieg der Cannabis-Plantagen ist vor allem auf den Einsatz von Grow-Schränken zurückzuführen“, sagt die Hamburger Polizeisprecherin Ulrike Sweden. Diese dienten vor allem der Eigenversorgung.

In Berlin registriert die Polizei ebenfalls eine drastische Zunahme beim Selbstanbau. Im vergangenen Jahr wurden 63 Plantagen entdeckt – doch jeder „Grower“, der weniger als 20 Pflanzen hält, wird in den Polizeistatistiken gar nicht erfasst, weil hier kein krimineller Großhandel vermutet wird.

Marihuana landet in der Müllverbrennung

Schon die Sicherstellung macht den Polizisten viel Arbeit. „Wenn wir eine Plantage von tausend Pflanzen sicherstellen, sind damit zwei bis drei Leute über mehrere Tage beschäftigt“, sagt Thorsten Kleinert, Leiter des LKA-Dezernats 24, das Cannabis-Händler jagt. Die Blüten müssen „beweissicher geerntet“ werden, das Zeug landet in der Asservatenkammer und wird bei der nächsten Gelegenheit in einem bewaffneten Konvoi zu einer Müllverbrennungsanlage gefahren. „Da gehen dann Drogen im Wert von 25 bis 30 Millionen Euro in Flammen auf“, sagt Kleinert.

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Etwa 20 bis 30 Gramm Marihuana ernten Anfänger pro Pflanze, nachdem sie drei Monate lang in Dünger, Licht und Pflege investiert haben. Profis holen bis zu 100 Gramm heraus. Nach der Ernte ist das Gewächs nicht mehr zu gebrauchen, schon während der Aufzucht züchten die „Grower“ daher bereits Setzlinge aus der Mutterpflanze. Zwischen fünf und sechs Ernten kann ein guter Züchter im Jahr pro Pflanze samt ihrer Abkömmlinge erwirtschaften.

„Deutschland wird sich auf absehbare Zeit aus dem Land mit Marihuana selbst versorgen können, wenn der Trend zu Plantagen und zum Home-Growing weiter anhält“, sagt Kleinert. In Berlin kifften jeden Tag 20.000 regelmäßige Konsumenten etwa ein bis anderthalb Gramm Gras, so Kleinert. Dazu kommen nach Schätzungen der Polizei noch einmal 10.000 Gelegenheits-Konsumenten, sodass in der Hauptstadt jeden Tag etwa 25 Kilogramm Marihuana geraucht werden dürften – pro Jahr fast zehn Tonnen. Im vergangenen Jahr stellte die Berliner Polizei die Rekordmenge von 430 Kilogramm Cannabis sicher. Dabei finden die Beamten auch wenige Hochleistungspflanzen, die THC-Gehalte zwischen 40 und 53 Prozent erreichen. Aber solches Turbo-Gras ist selten und gelingt nur wenigen Züchtern.

Der Konsument ist bei den Ermittlern nie im Fokus. „Wir sind nur auf Plantagenbetreiber aus, die mehr als 350 Pflanzen anbauen“, sagt Kleinert. Die Grenze soll aber bald korrigiert werden: Weil es immer mehr Zuchtanlagen gibt, sollen die Ermittler des LKA erst einsteigen, wenn mindestens 500 oder 1000 Stauden gefunden werden. Mit anderen Worten: Die Polizei kommt gar nicht mehr hinterher.

Im Osten boomen die Hanf-Plantagen

Hanf-Plantagen boomen. Besonders beliebt bei Großbauern: Mecklenburg-Vorpommern, das Bundesland der leer stehenden Kasernen und Industriehallen. Bereits sechs gigantische Felder hoben die Fahnder im Nordosten des Landes in diesem Jahr aus, darunter eine Anlage mit 3000 und eine weitere mit 5000 Pflanzen – alle zwei bis drei Monate wurden dort Hunderte Kilo Marihuana geerntet.

Mit Drogen ist viel Geld zu verdienen. Cannabis anzubauen ist nicht viel teurer, als Küchenkräuter auf dem Balkonkasten zu züchten. Verkauft wird es aber für 5000 Euro pro Kilo. Auf dem Schwarzmarkt, in den Stadtparks und Klubs sowie einschlägigen Kneipen kostet ein Gramm Marihuana zwischen sechs und zehn Euro.

Die Aussicht auf das schnell verdiente Geld lockt auch Gruppen von zweifelhaftem Ruf an: So widmete sich der Mongols-Rocker David T. in Hamburg der Cannabis-Aufzucht: Zusammen mit sieben weiteren Komplizen züchtete er nach einem Urteil des Oberlandesgerichts vom 12. November in drei Wohnungen mehr als 1500 Cannabis-Pflanzen. Dafür soll Rocker T., der in Untersuchungshaft sitzt, drei Jahre und sechs Monate im Gefängnis brummen. Gegen das Urteil wurde sofort Revision eingelegt.

Übernimmt sich der Staat also? Wird die Schattenwirtschaft nicht erst durch die Prohibition ermöglicht? Ist der Kampf gegen die Drogen nicht längst verloren? Und hat Hanf-Lobbyist Wurth nicht recht, wenn er sagt, dass sowieso gekifft wird, egal, was im Gesetzbuch steht?

Cannabis führt zu Intelligenzrückgang

Professor Rainer Thomasius steht aus seinem schwarzen Ledersessel auf, geht zum Bücherregal, zieht das Betäubungsmittelgesetz heraus und legt es auf den Tisch, ein 2272 Seiten langer Wälzer voller Verbote, Strafandrohungen und Definitionen. „Alkohol und Zigaretten gehören da eigentlich auch hinein“, sagt er. „Aber das wäre natürlich nicht durchsetzbar.“

Cannabis jedoch wird bei den verbotenen Substanzen aufgelistet, und das hält der Arzt für unverzichtbar. Thomasius leitet das Deutsche Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am Hamburger Universitätskrankenhaus Eppendorf und schleust jedes Jahr 1300 Kinder und Jugendliche durch seine Mini-Klinik. Was er dort zu sehen bekommt, hat ihn zu einem der schärfsten Drogen-Kritiker des Landes gemacht. Die Wirkung der Droge auf Kinder und Jugendliche wird seiner Ansicht nach weit unterschätzt. „Zehn Prozent der Cannabis-Konsumenten funktionalisiert Marihuana, um aus der Wirklichkeit auszubrechen.“ Die Folge: Gleichgültigkeit, Antriebsverlust und die Gefahr, in eine Psychose abzugleiten. Und diese Heavy User müssen bei ihm und seinen Therapeuten mühsam wieder lernen, ohne Bong und Joint zu leben.

Auch Thomasius kann seine Argumente herunterbeten. „Aus neurobiologischer Sicht sind Cannabinoide viel gefährlicher als Alkohol“, sagt er. Das jugendliche Gehirn sei noch nicht ausgereift, daher könnte das THC viel nachhaltiger angreifen. „Wir haben Hinweise auf Gedächtnisschwäche und Intelligenzrückgang bei Jugendlichen feststellen können“, so der Arzt. Für Thomasius, der sich auch als Gutachter in Stellungnahmen für den Bundestag gegen eine Legalisierung von Cannabis ausspricht, ist eines klar: „Es gibt keinen verantwortungsvollen Umgang mit Cannabis im Jugendalter.“

Aus medizinischer Sicht müsse der Präventionsgedanke in den Vordergrund gerückt werden. Denn wer abhängig ist, hatte schon vorher ein Problem. Die überwiegende Mehrheit seiner Patienten stammt aus dysfunktionalen Familien, mit Eltern, deren Ehen zerrüttet sind oder die sich von ihren Kinder abwenden. Aber es gibt auch Sprösslinge aus handverlesenen Kaufmannsfamilien auf der Eppendorfer Sucht-Station. „Vernachlässigung kommt in den besten Familien vor“, sagt Thomasius.

Vor allem junge Kiffer gleiten ab

Es sind junge Männer wie der 24-jährige Konstantin (Name geändert), die bei ihm an die Tür klopfen, weil ihnen ihr Leben entglitten ist. Zu Hause verlor er den Draht zu seinen Eltern, als er zwölf Jahre wurde. Da bekam er mit, dass seine Mutter eine Affäre hatte, es kam zwischen ihr und dem Sohn immer wieder zu „heftigen Streitereien aus nichtigem Anlass“. Konstatin fühlte sich nicht geschätzt und nicht geliebt. Er zog sich zurück und entdeckte ein Mittel zur Flucht: Cannabis.

Seit er 16 Jahre alt wurde, habe er täglich ein bis zwei Gramm geraucht: morgens, nach der Schule und abends allein oder mit Freunden. Erst mit 18 „habe ich meinen hohen Konsum realisiert“, erzählt er. Da war es wohl schon zu spät. Zu Gleichaltrigen hatte Konstantin kaum noch Kontakt, er umgab sich nur noch mit ebenfalls kiffenden Freunden.

Er vernachlässigte sich, hörte mit dem Sport auf, verlor den Führerschein in einer Verkehrskontrolle. Das Abitur schaffte Konstantin noch, er schlängelte sich so durch, doch an der Uni entwickelte er „ein Leben ohne Uni“, ohne regelmäßige Tagesstruktur. Der Cannabis-Konsum stand im Mittelpunkt, an der Universität ließ er sich kaum blicken, schließlich gab er das Studium auf. „Mein Tag bestand aus Nichtstun“, sagt Konstantin.

Obwohl er sich vorgenommen hatte, wenigstens einen Praktikumsplatz zu suchen, hatte er nicht einmal das auf die Reihe bekommen. Stattdessen begann er den Tag mit einem Joint oder nuckelte an der Wasserpfeife.

Mediziner ordnen Konstantins Symptome in das Internationale Klassifizierungssystem ICD-10 mit den Ziffern F12.24 und F34.1 ein („gegenwärtiger Substanzgebrauch“ und „mittelschwere neurotische Depression“), und für ihn heißt das nichts anderes, als dass er nur durch eine mehrwöchige stationäre Therapie eine Chance hat, einen Weg aus dem täglichen Traumnebel zu finden, der so schön den Blick auf die Zumutungen des Lebens verschleiert.

Das Argument, Alkohol sei doch viel gefährlicher, will Thomasius daher nicht gelten lassen. „Alkohol muss man total anders bewerten. Wer Cannabis raucht, erlebt einen Vollrausch. Ein Bier macht aber noch nicht betrunken.“ Seine Gegner vom Legalisierungslager kennt der Hamburger Arzt gut. Mit Böllinger hat er erst im Oktober zusammen über die Freigabe diskutiert. Von der Petition hält Thomasius nichts: „Sie ist verlogen, weil das eingesparte Geld aus der Strafverfolgung bestimmt nicht in die Prävention investiert wird.“ Das ist für den Arzt der entscheidende Faktor: Die Sucht zu verhindern, an den Ursachen zu arbeiten und den Zugang zur Droge so schwierig wie möglich zu machen. Thomasius hat dafür seine eigene Formel: „Je liberaler der Umgang mit Cannabis, desto früher der Einstieg, desto mehr Konsum und desto verharmlosender die Einstellung bei Kindern und Jugendlichen.“

„Was geht das eigentlich den Staat an?“

Ganz allein ist der Suchtexperte nicht mit seiner Meinung. Auch LKA-Mann Kleinert sieht Cannabis kritisch. „Für uns ist es keine weiche Droge. Jugendliche riskieren bei regelmäßigem Konsum ihre Gesundheit“, sagt er. Im Bekanntenkreis aber muss er häufig erklären, dass Marihuana eigentlich verboten ist. „Die Leute denken, das ist legal, weil praktisch alle Verfahren wegen der geringen Mengen eingestellt werden.“ Da passt was nicht, findet der Kripo-Beamte.

Das sieht Martin Slemties, der Hamburger Headshop-Betreiber vom Grasweg, ähnlich, wenn auch aus anderen Gründen. Er verfolgt die Cannabis-Diskussion interessiert. Auch er kennt jedes Argument der Gegner und Befürworter der Legalisierung und findet „den Georg“ vom DHV gut. Aber eigentlich, sagt er, habe er nur eine Frage. Es ist eine Frage, die sich wahrscheinlich Tausende Kiffer und Züchter stellen. „Wenn ich mir als erwachsener Mensch Hanfsamen kaufe, ein paar Pflanzen züchte und deren Blütenblätter rauche – was geht das eigentlich den Staat an?“

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