Streit um neue Regeln für den Drogenmarkt

Suchtfachleute fordern eine neue Drogenpolitik. Die Debatte um die Regulierung von Cannabis ähnelt dabei jener des letzten Jahrzehnts. Ein neues Argument ist die heutige Marktlage.

Davide Scruzzi
Drucken
Das Feuer in der Diskussion um eine Cannabis-Legalisierung ist neu entfacht. (Bild: Ermindo Armino / AP)

Das Feuer in der Diskussion um eine Cannabis-Legalisierung ist neu entfacht. (Bild: Ermindo Armino / AP)

Nach Jahren des Stillstands ist die Drogenpolitik wieder in Bewegung. Städte wie Genf, Basel oder Zürich haben die Idee von Fachleuten aufgenommen und bemühen sich um Projekte für eine regulierte Abgabe von Cannabis . Um eine als wenig chancenreich eingestufte Diskussion auf Bundesebene zu vermeiden, soll dies als vom Bund bewilligtes Experiment etikettiert werden. An einer Medienkonferenz haben Fachverbände am Dienstag in Zürich Argumente und Forderungen präsentiert, die weit darüber hinausgehen und die heutige Einteilung in legale und illegale Drogen hinterfragen. Die Analyse könne den Städten und Kantonen auch das Argumentarium für die Cannabisprojekte liefern, so die Organisationen Fachverband Sucht, nationale Arbeitsgemeinschaft Suchtpolitik (NAS) und die Arud-Suchtzentren.

Veränderter Drogenmarkt

Repressive Formen der Drogenpolitik werden von den Experten als gescheitert betrachtet. Insgesamt stellte die Tessiner SP-Nationalrätin Marina Carobbio fest, dass die Nachfrage nach psychoaktiven Substanzen konstant hoch sei, unabhängig davon, ob diese legal oder illegal seien. Die Nachteile der Verbote wiegen aber laut der NAS-Präsidentin schwer. So würden Konsumenten wegen schlechter Substanzen oder schwankender Konzentrationen gesundheitliche Schäden erleiden, und es werde ein grosser Schwarzmarkt alimentiert. Im Gegensatz zu Alkohol und Zigaretten verdiene der Staat zudem bei den illegalen Drogen nichts.

Im neuen NAS-Positionspapier wird zwar eingeräumt, dass sich der Schwarzmarkt bei einer Regulierung von Anbau, Handel und Konsum für Volljährige auf minderjährige Zielgruppen verlagern könnte. Doch liessen sich neu auch mehr polizeiliche Mittel für die Durchsetzung des Jugendschutzes einsetzen. Wie Petra Baumberger (Fachverband Sucht) und Thilo Beck (Arud) erklärten, lassen sich Drogenkonsumenten einfacher über Möglichkeiten eines risikoarmen Konsums und über Therapien aufklären, wenn der Konsum nicht illegal ist.

Die Positionsbezüge der Experten überraschen nicht. Die gleichen Argumente scheiterten im letzten Jahrzehnt trotz ausgiebigen Debatten gleich mehrmals. Eine Lockerung des Cannabisverbots fand bei der Revision des Betäubungsmittelgesetzes keine Mehrheit, das Parlament lehnte mit der Hanfinitiative auch die Option eines Gegenvorschlags ab, und schliesslich scheiterte 2008 die Hanfinitiative mit 63 Prozent Nein-Stimmen auch beim Volk. Im Vergleich zu damals sieht aber Jean-Félix Savary, Generalsekretär der Westschweizer Suchtfachleute (GREA), zumindest in Genf eine neue Situation. Der Handel mit Cannabis habe sich aus einem Graubereich in die gleiche Ebene bewegt, in der auch mit harten Drogen gehandelt werde. Im Übrigen ist Savary der Ansicht, dass die Drogenpolitik Sache der Städte sei. Diese hätten schon mit dem Vorpreschen bei der nun landesweit legalisierten kontrollierten Heroinabgabe Weitsicht gezeigt.

Gesetzeslücke nun gefunden?

Ob aber das Bundesamt für Gesundheit überhaupt rechtlichen Spielraum für die Bewilligung eines Versuchs der Städte hat, bleibt offen. Der Genfer Soziologe Sandro Cattacin, federführend beim dortigen überparteilichen städtischen Projekt, erklärt auf Anfrage, dass das Gesuch an den Bund Ende Mai eingereicht werden soll. Nach Ostern wird über die genauen Bedingungen informiert. Ein wichtiger rechtlicher Pfeiler soll Artikel 19 des Betäubungsmittelgesetzes sein, wonach der Konsum von kleinen Mengen im Rahmen eines kostenlosen Bezugs nicht strafbar ist. Mitglieder von Konsumentenvereinigungen entrichten demnach einen Mitgliederbeitrag und erhalten im Gegenzug gratis und kontrolliert Cannabis.

Gegen die Aktivitäten der Städte formiert sich im Parlament Widerstand. So hat Nationalrätin Verena Herzog (svp., Thurgau) in einer Fragestunde vor einigen Wochen kritisiert, dass sich Bundesrat Alain Berset zum Thema nicht klar äussert. Es gehe nicht, dass der Volkswillen auf diesem Weg missachtet werde, zumal der Konsum von Cannabis etwa Jugendlichen schwer schaden könne. Gegen die Durchführung derartiger Versuche würden sie und Mitstreiter sicher parlamentarische Vorstösse einreichen, so Herzog. Ständerat Ivo Bischofberger (Innerrhoden, cvp.) warnt indes vor Schnellschüssen und hält es für angebracht, dass sich etwa seine Partei zum Thema nun eine konsolidierte Meinung bildet, gerade auch mit Blick auf den Jugendschutz.